Interview mit Vorstandsvorsitzendem Gert Nowotny
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Die letzten Handelswochen waren von Bewegungen am Energiemarkt geprägt. Ganz besonders im Fokus lagen hier drohende Streiks an australischen LNG-Anlagen. Diese Unsicherheiten werfen auch wichtige Fragen über die zukünftige Preisentwicklung und Marktstabilität auf. Wie gut sind Deutschland und Europa auf den Winter vorbereitet?
In unserer neuen Podcast-Folge beleuchtet unser Vorstandsvorsitzender Gert Nowotny die aktuellen Entwicklungen, ihre potenziellen Auswirkungen und die zukünftige Richtung der Energiemärkte während der kommenden Wintermonate.
Wie haben die drohenden Streiks an den australischen LNG-Anlagen den Energiemarkt zuletzt beeinflusst?
Das Thema passt aktuell ganz gut, denn vor ziemlich genau einem Jahr sind wir in die meines Erachtens größte Energiekrise der letzten Jahrzehnte gerutscht und konnten sehen, wie die Gaspreise um ein Vielfaches gestiegen sind. Heute sieht die Lage bezüglich der angekündigten Streiks in Australien wie folgt aus: Im Wesentlichen sind zwei Konzerne betroffen – der weltbekannte Chevron-Konzern und die Woodside Energy Group. Es geht darum, dass die Arbeits- und Lohnbedingungen verbessert werden sollen. Aus diesem Grund wurden um den 20. August Streiks angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt sind die Preise um ungefähr 20 Prozent nach oben gezogen. Das war sicherlich eine kurzfristige Reaktion, denn im Nachgang sehen wir jetzt bereits wieder relativ stabile Preise. Woodside hat wohl an einigen Stellen auch schon eingelenkt, Chevron ist da noch nicht so weit. Wichtig zu wissen ist auch, dass man LNG-Terminals nicht einfach abschalten kann. Das sind in der Regel längere Prozesse. Insofern wird dort immer etwas Flüssiggas weiterhin gemanagt werden.
Die Streiks sind aktuell für den 14. September für eine Dauer von zwei Wochen angekündigt. Sollte das tatsächlich so eintreffen, hätte das mit Sicherheit Auswirkungen. Von Australien aus wird im Wesentlichen der asiatische Markt bedient und wenn dieser nicht versorgt werden kann, müssen die Lieferungen über den Spotmarkt bedient werden. Und genau dort kauft Europa sehr stark ein. Daher würde das natürlich die europäischen Gaspreise und am Ende des Tages dann auch die Strompreise beeinflussen. Die Frage ist nur immer wie lange und in welchen Dimensionen. Das bleibt jetzt zunächst abzuwarten.
Welche Szenarien könnten sich ergeben, wenn es zu einem Zusammenfall der Streiks in Australien und beispielsweise Wartungsarbeiten an norwegischen Gasanlagen kommt?
Die Wartungsarbeiten an den norwegischen Gasanlagen sind geplant. Ich glaube, hier besteht kein großes Risiko, denn bei den Streiks handelt es sich zunächst einmal nur um eine Ankündigung – sie sind noch nicht eingetroffen. Ich gehe davon aus, dass die Konzerne eine Lösung finden werden. Weil sie es müssen. Daher mache ich mir weniger Sorgen, dass hier ein Zusammentreffen von zwei einflussnehmenden Komponenten gleichzeitig auftreten wird.
Welche weiteren Faktoren könnten die Preisentwicklung in den kommenden Wochen noch beeinflussen?
Sorge bereitet mir eher ein möglicherweise kalter Winter. Dieser ist heute zwar noch nicht absehbar, würde aber ein größeres Risiko für die Gaspreise in der kommenden Wintersaison darstellen, als ein befristeter Streik oder eine Verlängerung von Wartungsarbeiten. Die Gasspeicher sind aktuell jedoch sehr gut gefüllt. Sogar weit über das geplante Ziel für diesen Zeitpunkt hinaus.
Weiter im Auge zu behalten sind mögliche Angriffe auf Infrastruktur, gerade im Hinblick auf den Ukraine-Krieg. Diese hätten sowohl psychologische als auch physische Auswirkungen auf die Gaspreise. Das ist aber natürlich „Karten legen“ an dieser Stelle.
Wenn alles „normal“ bleibt, der Winter nicht außergewöhnlich kalt wird und es keine Infrastrukturprobleme geben sollte, werden wir dieses Jahr sicher gut durch den Winter kommen. Vielleicht könnten die Gaspreise sogar tendenziell nochmal fallen.
Besonders im vergangenen Jahr haben wir allerdings gesehen, dass unerwartete Ereignisse eintreten und Einfluss auf den Energiemarkt nehmen können. Auch das Wetter ist leider nicht beeinflussbar. Welche Strategien könnten Energieakteure anwenden, um sich auf eine mögliche Marktvolatilität oder Unsicherheiten im Winter vorzubereiten?
Eine Sache betreiben Energielieferanten bereits seit Jahrzenten: Hedging. Das bedeutet eine Eindeckung für die Frontwochen, -monate, -quartale, die Wintersaison etc. Das sollte man über die Winterzeit in jedem Fall machen. Im e.optimum-Modell haben wir das auch so gemacht, wir arbeiten ja mit der strukturierten Beschaffung. Das heißt, wir decken unseren Energiebedarf über die nächsten Wochen, Monate und möglicherweise auch die Wintersaison schon systematisch sehr früh ein. Und das nicht mit einem Einkauf, sondern mit vielen Einkäufen zu unterschiedlichen Preisen. Somit erreichen wir einen sehr marktnahen „Mischpreis“. Den Rest kaufen wir am Spotmarkt ein, das sind ca. 40-50 Prozent. So machen das viele Lieferanten auf unterschiedliche und jeder auf seine eigene Art und Weise. Wir halten natürlich unser Modell für das richtige, um Preisstabilität für unsere Kunden auf der einen Seite über das „Hedging“ zu gewährleisten und auf der anderen Seite auch die Preischancen der volatilen Spotmärkte mitzunehmen. Das ist unsere Beschaffungsstrategie, die wir jeden Monat so konsequent weiterverfolgen.
Auch die Politik bereitet sich auf einen möglichen Ernstfall vor: Wie bewerten Sie die Entscheidung Deutschlands seine Kohlekraftwerke länger zu betreiben? Könnten die zusätzlichen Kapazitäten vielleicht sogar für eine stabilere Versorgung in den kalten Monaten sorgen und Engpässe verhindern?
In Krisenzeiten ist ein mehr an Angebot natürlich immer hilfreich. Daher halte ich das für eine gute Entscheidung, zumindest aus wirtschaftlicher Sicht. Klimatisch ist das aber wohl anders zu bewerten. Vermutlich hätte man auch die Kernkraftwerke noch am Netz lassen sollen, um zumindest über die Winterzeit oder sogar noch etwas länger eine stabile Situation am Energiemarkt zu schaffen. An dieser Stelle hätte man sicherlich noch mehr machen können.
Beleuchten wir zum Abschluss gerne noch die Gesamttendenz der Energiemärkte: Wie lautet insgesamt Ihre Einschätzung für den kommenden Winter?
Wenn sich von den äußeren Gegebenheiten nichts gravierend ändert, wird sich meines Erachtens nach aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche sowohl in Europa als auch in Asien, dem damit geringeren Energieverbrauch im Gewerbe und der Industrie sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Gasspeicherstände, der Winter ganz gut managen lassen. Im neuen Jahr wird man dann weitersehen, was die Ukraine und andere Themen alles mit sich bringen.
Alle spannenden und fachlichen Ausführungen von Gert Nowotny gibt es in voller Länge als Audioformat im e.pod – unserem Energiepodcast: