Wie sieht die aktuelle Lage am Energiemarkt aus?

Man hört es täglich in den Nachrichten und den gängigsten Medienkanälen: Weltweit hohe Rohstoff- und Energiepreise beherrschen die Märkte. Besonders deutlich fällt diese Tatsache der Bevölkerung wohl anhand der hohen Spritpreise auf, aber auch Strom und Gas schießen deutlich in die Höhe. Die Ursache hierfür liegt in der hochaktuellen politischen Krise und der wirtschaftlichen Ausnahmesituation an den globalen Rohstoff- und Energiemärkten. Letztere hat Verbraucher*innen, aber auch die Energieversorger selbst stark getroffen.

Im Interview erklärt uns Michael Singer, Portfoliomanager für den Strom- und Erdgas-Einkauf bei e.optimum, wie die Lage derzeit aussieht und welche Vorhersagen man bereits heute für die Zukunft treffen kann.

Michael, was ist bereits seit einigen Wochen an den Energiemärkten los?

Hierfür ist ein längerer Blick zurück notwendig – und zwar auf den vergangenen Winter 2020/21. Dieser war sehr kalt und hielt vor allem sehr lange bis in den April an. Es handelte sich hierbei um den kältesten April seit 40 Jahren. Dementsprechend waren die Gasspeicher sehr entleert und wurden zudem im letzten Sommer auch kaum aufgefüllt. Das hat schließlich im Dezember zu einem sehr knappen Angebot an Erdgas geführt – auf Seite der Einspeicherung, jedoch auch auf Versorgungsseite. Ab vergangenem Sommer erhielten wir in Europa bereits immer weniger Erdgas aus Russland. Ihren Tiefpunkt erreichten diese Erdgasflüsse im Dezember. Dadurch gab es einen ersten Preispeak in diesem Monat, welcher sich im Herbst schon angekündigt hatte und sich von da an bis Ende letzten Jahres entwickelte. Nach einer kurzen Entspannungsphase Anfang dieses Jahres durch einen milden Winter und eine sehr gute Versorgungslage mit erneuerbaren Energien, gab es zuletzt am 24. Februar die Eskalation des Konfliktes in der Ukraine. Diese Umstände haben den Preis nochmals massiv ansteigen lassen.

Unsere Gedanken sind selbstverständlich bei allen Betroffenen. Schon vor Kriegsbeginn waren die Befürchtungen sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft groß, dass weniger oder schlimmstenfalls gar kein Gas mehr aus Russland bei uns ankommen wird. Wie sieht es momentan in dieser Hinsicht aus?

Vorweg muss man sagen, dass Russland die vertraglich vereinbarten Mengen liefert. Aber eben auch nicht mehr. In der Vergangenheit hat Russland auf den kurzfristigen Märkten deutlich mehr Gas zusätzlich geliefert. Für 2021 bedeutete das ungefähr 25 Prozent weniger Erdgas als noch 2019 – einem Jahr, in dem die Wirtschaft vor Corona noch in normalem Umfang stattfinden konnte. Seit Kriegsbeginn sind die Gasflüsse nun deutlich angestiegen: Wir liegen aktuell bei circa 140 Prozent von den Mengen, die noch in den Tagen direkt vor dem Krieg in Europa über die russischen Pipelines angekommen sind.

Wieso sind die Preise dennoch so hoch? Widerspricht sich das nicht eigentlich?

Ja, richtig! Geht man nach Angebot und Nachfrage, müssten die Preise eigentlich fallen. Wir haben deutlich mehr Erdgas aus Russland, eine weiterhin sehr gute Versorgungslage durch verflüssigtes Erdgas, gleichzeitig wärmere Temperaturen und viel Wind, der Winter neigt sich dem Ende zu und mehr Photovoltaik ist in Aussicht. Das bedeutet in Summe: Wenig Nachfrage nach Erdgas als Heiz- und Brennstoff, weniger Bedarf für Gas zum Heizen oder für die Stromerzeugung bei gleichzeitig deutlich mehr Angebot. Trotzdem sind die Preise gestiegen und das ist ausschließlich der Panik an den Märkten geschuldet. Man hat Angst, dass sich der Konflikt weiter verschärft. Und das, obwohl bisher sowohl Russland als auch die EU eindeutig ausgeschlossen haben, dass es Energiesanktionen, also ein Embargo auf russisches Öl, Kohle oder Erdgas gibt. Das wird dann bereits in den Markt eingepreist und lässt die Preise anstiegen. Eine Konsequenz, die man bei ähnlichen Konflikten häufiger sieht.

Was heißt das konkret für uns? Viele Menschen sind momentan verunsichert darüber, ob eine konkrete Vorhersage in so einer kritischen Situation überhaupt möglich ist. Dürfen wir es wagen, auf niedrigere Preise in der Zukunft zu spekulieren?

Ja, natürlich ist momentan viel unberechenbar und auch schwer kalkulierbar. Trotzdem kann gesagt werden: Die Versorgungslage ist sehr gut, die Gasflüsse sind stabil, im Sommer wird weniger Gas benötigt und es ist auf der politischen Ebene angekommen. Wir haben zudem viel Wind und die Sonne kommt in den nächsten Wochen. Und immer dann, wenn wir im Strombereich viel erneuerbare Energien haben, werden konventionelle Kraftwerke wie Kohle- und Erdgaskraftwerke nicht benötigt. Somit spielen die geopolitischen Konflikte dann für den Energiepreis in diesem Fall keine Rolle. Zusammenfassend ist zu sagen, dass wir uns vermutlich gerade auf dem Höhepunkt der Krise befinden. Diese kann maximal noch länger andauern, aber wir erwarten schon die ersten positiven Tendenzen.

Vielen Dank für diese Momentaufnahme und die hilfreichen Erläuterungen, Michael. Wir hoffen auf Verbesserung der Lage am Energiemarkt und auf Frieden in Europa. Unser Mitgefühl und unsere Solidarität liegen bei allen vom Krieg Betroffenen.

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